Im Wiener Palais Niederösterreich trafen sich zahlreiche Fest- und Ehrengäste aus Kunst, Kultur, Wirtschaft und Politik am vergangenen Donnerstagabend zur Präsentation des Buches „Stammgäste: Jüdinnen und Juden am Semmering“ von Danielle Spera, die darin erstmals das jüdische Leben am Semmering im Detail beleuchtet. Ein Projekt, initiiert von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die sagte: „Das Buch ist der Beginn einer langen Reise, den Semmering mit Blick in die Vergangenheit wieder zum Leben zu erwecken.“ Es sei ihr ein persönliches Anliegen, „den Semmering gemeinsam mit der Region, Investoren und den Menschen in der Region wieder wachzuküssen“. Um ein solches Projekt umzusetzen, könne man aber nicht nur die Zukunft im Blick haben, sondern müsse sich auch mit der Vergangenheit der Region auseinandersetzen, die „schön war, auch eine sehr dunkle, wenn wir an den Nationalsozialismus denken, wo 1938 Jüdinnen und Juden vertrieben wurden.“
Gerade in Niederösterreich sei es sehr wichtig, „Erinnerungskultur hochzuhalten, uns auch wissenschaftlich mit diesen Themen auseinanderzusetzen“, denn Niederösterreichs Geschichte sei aufs Engste mit dem jüdischen Leben verbunden. „Wir hatten 15 israelitische Kultusgemeinden, so viele, wie kein anderes Bundesland“, führte Mikl-Leitner aus, „und es ist unsere Verantwortung, uns mit der Geschichte auseinanderzusetzen, daraus zu lernen und Ableitungen zu machen.“ Dies sei heute wichtiger denn je, wenn man an den Terrorangriff der Hamas auf Israel oder die Ausschreitungen gegenüber Jüdinnen und Juden in ganz Europa denke. Deshalb sei es für sie „Verantwortung und Herzensanliegen, in diesem Bereich viel zu tun“, so die Landeshauptfrau, die einige Projekte anführte, allen voran die Revitalisierung und Wiedereröffnung der Ehemaligen Synagoge St. Pölten, die sie als „Meilenstein in der Österreichischen Erinnerungskultur“ bezeichnete. „Wir haben daraus ein Dialogzentrum gemacht, wo wir jüdische Geschichte und Traditionen in den Mittelpunkt stellen und wo auch die jüdische Kultur von heute spürbar und fühlbar sein wird.“ Mikl-Leitner nannte weiters die Synagoge Baden sowie die KZ-Gedenkstätten, insbesondere Melk, wo man „Vermittlung auf der Höhe der Zeit mit ganz neuen pädagogischen Konzepten“ mache. Auch beim zeitgenössischen Festival „Tangente“ in St. Pölten sei die Erinnerungskultur – neben den Themen Demokratie und Umwelt - eine wichtige inhaltliche Säule. „Gerade bei einem Festival können wir auch viele junge Menschen erreichen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen“, war sie überzeugt.
Abschließend ging die Landeshauptfrau noch näher auf das Thema „Weiterentwicklung und kulturelle Positionierung des Semmering“ ein. Man sehe diesen nicht isoliert, sondern eingebettet in eine große Kulturregion, „die in Wiener Neustadt beginnt, wo wir gerade das Jugendstiltheater renovieren und im Herbst eröffnen“ und sich über die Rax und die komplette Semmeringregion erstrecke. Ziel sei ein kulturelles Ganzjahresprogramm, aktuell fokussiere man auf den Sommer, so Mikl-Leitner, die u.a. die Festspiele Reichenau unter der Intendanz von Maria Happel, den Kultur.Sommer.Semmering oder auch die künstlerischen Programme im Südbahnhotel anführte. Der Semmering gehöre, neben der Wachau, laut Tourismus-Experten zu den schönsten Regionen weit über die Landesgrenzen hinaus, „und dieses Potential wollen wir nützen“, sagte die Landeshauptfrau und meinte: „Ich freue mich jetzt schon, wenn wieder viele Gäste, vor allem auch viele jüdische Gäste, auf den Semmering kommen.“
Herausgeberin Danielle Spera nannte und würdigte alle Autorinnen, Autoren sowie Gesprächspartnerinnen und –partner und sprach über viele berührende, beklemmende, aber auch spannende und freudige Momente während ihrer Recherche und in den Gesprächen und Interviews zu ihrem Buch. Inhaltlich beginne es „im Mittelalter, hantle sich dann zum jüdischen Einfluss im Eisenbahn- und Hotelbau weiter zu den Villen, die entstanden sind, bis hin zur jüdischen Medizin und zum Sport“, so Spera. „Auch die Frauenbewegung, die am Semmering sehr aktiv war, ist Thema und natürlich die große Zäsur durch die Zeit des Nationalsozialismus, die Arisierungen und der lange Kampf um Restitution.“ Wichtig waren ihr besonders auch jene Gesprächspartnerinnen und –partner, „die den Semmering in den Nachkriegsjahren neu belebt haben.“ Gerade die Interviews in ihrem Buch zeigen, so die Autorin: „Der Semmering hat für die jüdischen Familien, die sehr viel mitgemacht haben und nach Österreich gekommen sind, eine wirkliche Ruhezone und eine Oase bedeutet.“ Auch Spera freue sich auf eine „Wiederbelebung des Semmering“, sagte sie, denn er sei „eine wunderschöne Region, die sich aber ohne den jüdischen Beitrag nicht so entwickelt hätte.“
Schauspieler Markus Freistätter las drei Auszüge aus „Stammgäste: Jüdinnen und Juden am Semmering“, erschienen im Amalthea Verlag. Musikalisch begleitet wurde die Buchpräsentation von Sängerin Ethel Merhaut und Korrepetitor und Komponist Belush Korenyi.