SPITTELBERGER ANTON KUH PREIS 2002
Der Preistraeger heißt Andre Blau
Der SPITTELBERGER ANTON KUH Preis 2002 wurde am 8. August 2002 im Literaturkeller des Plutzer Braeu am Wiener Spittelberg von Frau Bezirksvorsteher Stv. Madeleine Reiser und dem Obmann des Kulturvereines Forum Spittelberg, Pius Strobl verliehen.
Der Preistraeger heißt Andre Blau. Mit dem Text Vienna Mortale gewinnt Andre Blau den Literaturpreis.
Der mit 2.500 Euro dotierte Anton Kuh Preis fuer Kuerzestgeschichten geht an Andre Blau fuer seinen Text Vienna Mortale. Die heuer zum zweiten Mal vergebene Auszeichnung wurde dem Schriftsteller, Schauspieler, Kabarettisten und Journalisten im Spittelberger Literaturkeller in Wien vom Verein Forum Spittelberg in Kooperation mit Oesterreich 1 und dem Standard verliehen.
Andre Blau, geboren 1962 in Melk, arbeitet seit 1989 als freier Schriftsteller, Schauspieler, Kabarettist, Journalist und Texter und gewann bereits mehrere Literaturpreise. Pointierte Kuerzestgeschichten in der Tradition des scharfzuengigen Wiener Essayisten Anton Kuh waren bei diesem Literaturpreis gefragt. Aus den unzaehligen Einsendungen, die eine maximale Laenge von sechzig Zeilen zu 60 Anschlaege haben durften, kamen sieben Texte ins Finale.
Die Jury, bestehend aus Autorin Marie Luise Kaltenegger, die mit ihrem Text Die Schreibmaschine die 1. Anton Kuh Ausschreibung gewonnen hatte, Autor Robert Schindel sowie Edith Ulla Gasser von OE1 und Stefan Gmuender vom STANDARD, bekam die Texte anonym vorgelegt und entschied sich schließlich fuer Andre Blaus Vienna Mortale. Dieser kompakte essayistische Beitrag ueber die ambivalente Haltung des Wieners zum Selbstmord stehe ganz in der Tradition des 1938 in die USA emigrierten Oesterreichers Anton Kuh, und zeige doch eigenstaendiges schriftstellerisches Format, so die Begruendung der Jury.
Der Siegertext: Vienna Mortale (Nachsatz zur oesterreichischen Seele) von Andre Blau
Der Selbstmord ist eigentlich keine Wiener Einrichtung. Dazu ist er zu endgueltig und er ist entsetzlich undiplomatisch. Der Wiener Selbstmoerder tut etwas voellig Unwienerisches: Er trifft eine Entscheidung und setzt sie in die Tat um. Es sei jetzt dahingestellt, ob es sich dabei um eine gute oder schlechte Entscheidung handelt, denn schließlich ist auch der oesterreichische wie jeder andere Selbstmoerder in der Einsamkeit dieser Entscheidung jenseits von Gut und Boese. Der Vorgang des Sich Entscheidens ist neutral, wie dieses Land. Die Entscheidung zum Suizid, sich ins Pendel zu haun, wie der Wiener unter anderem liebevoll sagt, bedarf allerdings der Umsetzung in eine Handlung, um Glaubwuerdigkeit zu erzielen. Der Entschluss reicht nicht aus ohne die Tat, welche den Entschluss aus der Fruchtblase der Moeglichkeiten in die Neonlichtwelt der Realitaet ueberfuehrt. Hiebei nun geschieht etwas, im Weiteren ebenfalls voellig Unwienerisches: Der Wiener, der seiner Stadt in einer Art, wie es vielleicht nur mehr der Pariser versteht, in inniger Hassliebe symbiotisch verbunden ist, begibt sich ins Exil. Mag er die Tat auch in noch so vertrautem Gelaende verueben, auf dem geliebten Dachboden im Licht der ersten Sonne, im anfaenglich noch wohlig nach Gugelhupf duftenden Backrohr, gleich darauf uebertoent natuerlich der Gasgeruch das idyllische Odeur von Zucker und Fett... , in jenem Park, in dem er inmitten Vogelgezwitscher und Hundstruemmerln seine einzig wahre Romanze erlebte, egal, der Selbstmoerder loest bei seiner Tat jegliche Bindung an Nation, Rasse und Religion. Er wird zu einem die eigene bekannte Realitaet nachdruecklich veraendernden Fremden, da er sogar das intimste Bekannte, sein Selbst, allen ihm vertrauten Parametern entzieht. Dies nun ist schließlich etwas, das dem Wiener, wuerde er sich die Konsequenz vor Augen führen, den Selbstmord schließlich doch noch verleiden moechte: Die Tatsache, durch seine Tat zum Fremden vor allen Lebenden und somit auch zum Fremden in seiner eigenen Stadt zu werden; denn schließlich laesst die Vorstellung des Fremden stets des Wieners goldenes Herz ueberquellen, das er wie so oft auf den Lippen traegt, und Worte wie Tschusch, Kanak, Krawat, Gscherter tropfen wie Morgentau auf den Mutterboden seines Vaterlandes. Dieses Fremdsein infolge seiner Entleibung, dies ist die wohl groeßte Huerde auf dem Weg zum erfolgreichen Suizid.
Der Selbstmoerder befindet sich also in einer ueberaus schwierigen Position. Der kurze Moment der endgueltigen Entscheidung ist schließlich getragen von nachdruecklicher Uebereinstimmung in Gedanken, Worten und Taten, etwas dem Wiener im normalen Alltag voellig Unbegreifliches, abseits aller gewohnten Stammtisch und Tuerspion Sinnlichkeit, und es widerspricht seinem innigen Wunsch, eine ultimative Synthese herbeizufuehren, Glueck und Unglueck zu vermaehlen, so dass jeder glueckliche Umstand ein Quaentchen seines Gegenteils in sich traegt. Er raunzt ueber den Regen der Goldmarie, da Glick a nur a Arweit macht... , ebenso wie er sich ueber das Schicksal jeder Pechmarie erfreut, nachdem er es ohnehin gwusst hat, dass des net guat geht und so recht behaelt...
Er ist die personifizierte Ambivalenz, im Leben bereits vorsichtshalber ein wenig gestorben und gewiss leben dig nach seinem Tod. Und dies nun mag der einzig wahre Grund sein, der den Wiener zum Selbstmord zu treiben vermag: Der Drang nach ana guatn Nachred, die dem Lebenden in Wien auf immer und ewig verwehrt bleibt.